Schon einmal, im Frühsommer 2018, hatten sich Schülerinnen und Schüler des UGN auf den Weg nach Amsterdam gemacht, um dort im Anne-Frank-Haus ihre Kenntnisse zum Leben der Familie Frank im Hinterhaus der Prinsengracht 263 zu vertiefen. Am 15. Juni 2018 nahmen ein Kurs des 11. Jahrgangs, die Peer Guides der Ausstellung vom Sommer 2017 und weitere Interessierte an der Tagesfahrt teil. Es war eine so aufregende wie anregende Erfahrung. Denn da die Gruppe nicht offiziell über das Internetportal, sondern mit Hilfe eines Kontaktes über das Anne-Frank-Zentrum Berlin gebucht worden war, schien trotz vorheriger E-Mail- und Telefonkommunikationen vor Ort und am Tag selbst niemand zu wissen, dass gegen Mittag gut 30 Jugendliche und ihre Begleitung auch noch eine Gruppenführung erhalten sollten. Hinzu kam, dass auch der Busfahrer nicht wusste, dass schon im Sommer 2018 kein Bus an das Haus heranfahren durfte. Also wurden spontan Gruppen gebildet, die einigen Mutigen hinterher durch die Amsterdamer Altstadt liefen, die ihrem jeweiligen GPS Vertrauen schenkten.
All diese Aufregungen sollten in diesem Jahr vermieden werden, zumal es für viele Teilnehmende wie die Begleitung die erste Fahrt ins Ausland seit 2019 war, für manche vielleicht so gar die erste Schulfahrt in einer halben Ewigkeit. Daher wurden im Rahmen der AG Erinnerungskultur und Erinnerungsarbeit sowohl die Fußwege von der Centraal Station, wo die Busse ihre Fahrgäste aus- und wieder einsteigen lassen können, recherchiert als auch die Buchungen über das Internetportal des Anne-Frank-Hauses gebucht. Da die Busfirma dieses Mal auch alle Eventualitäten berücksichtigt und überdies einen sehr erfahrenen Chauffeur eingesetzt hatte, war der äußere Rahmen für einen Erfolg der Fahrt hervorragend vorbereitet.
Kaum im noch vom nächtlichen Schneefall geprägten Amsterdam eingetroffen, wo sich die zuvor gebildeten Gruppen à 10-12 Mitglieder formierten, ging es schon los durch die noch weihnachtlich geschmückte Altstadt, entlang von Grachten mit hohem Wasserstand, durch teils sehr schmale Gassen, wo mancher Handwerker freundlich grüßte, übrigens auch auf dem Rückweg. Zwar waren auch Ende Januar etliche Touristen und Niederländer unterwegs, die sichtlich als Besucher durch die Stadt streiften, aber verglichen mit einem Besuch im Sommer waren vor allem die vielfältigen, für jeden Geschmack zu jeder Tageszeit alles bietenden Restaurants eine Augenweide für denjenigen, der seit 2019 Ostfriesland und Norddeutschland kaum verlassen hatte. Selbst auf dem Wasser pulsierte ständig das Leben, es waren nicht nur Privatleute unterwegs, sondern auch die flachen Boote auf Stadtrundfahrt waren gut besetzt. Insofern wunderte es nicht, dass das Anne-Frank-Haus bis spätabends für den Freitag, 20. Januar 2023, schon zwei Tage zuvor ausverkauft meldete.
Mit genug Zeit zum Bummeln oder zum Essen gehen, manchmal auch nur für den Kaffee auf die Hand oder den Besuch der zu Gunsten von Unicef betriebenen Toiletten eines Pfannkuchen-Restaurants direkt an der Westerkerk, teilt sich die Gruppe auf, um kurz vor dem Einlaß um 14 Uhr 45 wieder auf dem Vorplatz des Besucherzentrums zusammenzufinden. Interkulturell wird einiges gelernt an diesem Tag, etwa die Regel: ein Tisch, eine Rechnung, kurz Niederländisch essen gehen, was dann zu internen Tauschaktionen führt.
Groß ist dann die Überraschung, als die Organisatoren auf dem Vorplatz der einen Person von 36, die keine Karte hatte, die Gelegenheit geben, an der Theke im Anne-Frank-Haus ein Ticket zu lösen. Dieses Mal ist das Haus nicht überfüllt, also geben fast alle die Rucksäcke und Garderobe ab. Auch sorgt das Winterwetter dafür, dass ganz andere Eindrücke möglich sind als im Gedränge und bei der Hitze des Frühsommers 2018. Besonders hängen bleiben die gleichwohl wenigen Originalgegenstände. Überdies wird beim zweiten Besuch auch klar, warum es so wenige sind, warum auch die Einrichtung der „Wohnräume“ im Hinterhaus fast nur photographisch präsentiert wird. Nur so können täglich so viele Menschen in das Haus hinein und auf den Spuren der Versteckten wandeln. Küche, Toilette und Aktenschrank, mit dem die Tür zum Versteck im Hinterhaus zugestellt war, sind jedoch original, sie zeigen auch, unter welch beengten Umständen Abwasch und Körperpflege ablaufen mussten, wie sehr Anne Frank durch Tagebuch und Geschichten sowie Fabeln aus dem Hinterhaus für sich ein Ventil gefunden hatte, um die tagtäglich auftretenden Reize und Überreizungen durch eigene Kreativität auszugleichen.
Die Nutzung des Audio-Guides erlaubt ebenso individuellen Zugriff auf die Ausstellung, wie es so möglich ist, nach eigenem Tempo durch zu gehen. Doch bleibt festzuhalten, ganz gleich, wie gut eine jeweils einsprachige Präsentation auch gemacht sein mag, Anne Frank, die Niederländisch schrieb, aber immer auch Deutsch und Englisch einflicht, wenn sie es für nötig hält, kann nur gerecht werden, wer ihr auf auf Abwegen zu folgen bereit ist.
Nach diesem Motto, jedem sein eigenes Tempo, sind alle Amsterdam-Fahrenden am späten Nachmittag wieder draußen auf dem Trottoir der Prinsengracht und kurz vor 17 Uhr am Bus, der die Gruppe im gewohnten Tempo sicher wieder nach Norden bringt.
Nach dem Besuch im Anne-Frank-Haus ist vor der Anne-Frank-Ausstellung am Ulrichsgymnasium und in der Ludgerikirche Norden. In zwei Teilen werden historisch Vor- und Lebensgeschichte der Familie von Otto, Edith, Margot und Anne Frank bis hin zum Versteck und zur Deportation im Kunstgebäude gezeigt. Auf gleicher Ebene findet der historische Teil in den aktuellen Modulen zu Gegenwart und Brisanz von Antisemitismus und Rassismus sein aktuelles Gegenstück. Wer noch Kraft und Zeit hat, geht dann in die Ludgerikirche am Markt, wo auf 4 x 2 Metern das Versteck Anne Franks aufgebaut sein wird, wo auch die Rolle der Helfenden deutlich gemacht wird. Hiermit geht ein Traum des Organisators in Erfüllung, denn dieses Modul wurde in seiner früheren Fassung 2017 in Norden nicht gezeigt und wird nun erstmals überhaupt der Öffentlichkeit präsentiert.
Die beiden Ausstellungsteile im UGN werden von Peer Guides begleitet, die für diese Aufgabe eigens von Fachleuten des Anne-Frank-Zentrums Berlin ausgebildet werden. Natürlich können sie auch von Einzelbesuchern angeschaut werden. Das Versteck in der Ludgerikirche dient der vertieften Betrachtung vor allem der Einzelnen.